Flying Hoppers at World Masters Games 2013 - Torino, 1. August bis 11. August 2013

Published: Sunday, 18 August 2013 Written by Bruno Affentranger

Als die Augen eintrockneten
Irgendwann hat man in der Tat begonnen sich selber zu fragen, wie es überhaupt soweit hatte kommen können. Tag 4, Tag 5 oder schon Tag 7? Zwischen Spiel 3 oder 4? Bei 38 Grad Celsius auf einem ausgetrockneten Platz. Ein Tanz in der Bratpfanne. Mit oder ohne Schmerzen? Egal. Der Überblick war längst verloren. Wirklich egal. Wunden heilen, Stolz bleibt. Doch das wusste man zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Man hatte auch noch nie richtig die Aufschrift auf den eigenen Dresses gelesen. Wie sollte man auch? Lesen, ein Ding der Unmöglichkeit bei Temperaturen, die die Augenflüssigkeit eintrocknen liessen. Man sah nach Matches erwachsene Männer im Schatten der Bäume Schweiss-Staub vom Haupt des anderen klopfen. Wasser versteinerte, Tränen verdunsteten.
Flying Hoppers rocking the World Masters Games in Turin – und wir alle mittendrin.

ie Einladung zum Turnier Monate zuvor hätte eigentlich nachdenklich stimmen müssen. Medizinischer Check obligatorisch. Man dachte selbstverständlich an das notwendige Belastungs-EKG. An die unangenehme Spiegelung entlegenster Körperregionen. An eine Ganzkörper-Tomografie vielleicht.
Ganz so arg kam es dann doch nicht. Zumindest nicht im Vorfeld. Dass wir aber in Turin auf ultrahartem Untergrund und in Bra auf rührendem Balkonrasen würden viel laufen und leiden müssen, stand in keinem Vertrag geschrieben. Dort war vielmehr ausführlich die Rede von Ausflügen, Degustationen, Lustfahrten und Sommerspass, so dass es doch ziemlich überraschend kam, dass man sich am 2. August, um 11 Uhr 30 auf der Turiner Hockeyanlage an der Corso Tazzoli 78 nach kühlem Sauserstoff japsend wiederfand. Selbst eingefleischte Turinfans und Einheimische stöhnten ob den Temperaturen und murmelten etwas von einer «ungewöhnlichen afrikanischen Hitze, du verstehst?»
Ich verstand schon am ersten Tage kaum noch was (Ohrenflüssigkeit eingetrocknet), doch lassen wir das. Ausserordentliche Witterungen schaffen ausserordentliche Umstände, und diese wiederum gründen Heldensagen. So soll es auch hier sein.
Begonnen hatte alles zivilisiert. Einer und eine nach den anderen eintrudelnd im Albergo Ascheri in Bra, im Hause einer bekannten und alten eingesessenen Winzerfamilie. Im Restaurant gleich nebenan feierten der Vorhut der beiden inzwischen auch noch akkreditierten Teams von Flying Hoppers und Zürich Sox den Nationalfeiertag. 1. August ohne Lichterketten und Lampions, dafür mit Penne und Barbera, ein Schmaus in unübersichtlich vielen Gängen. Kollega Coen van Rosmalen, seines Zeichens CFO unserer Truppe, hatte seinen ersten Auftritt und erwies sich bereits als charmanter Säckelmeister und smarter Eintreiber einer ungeheuer gross erscheinenden Summe. Reiseleiter Willy Arber mit Ehefrau Irena präsentierte die selbstverständlich auf jeden einzelnen Mannschaftsteil abgestimmten Ausflugsprogramme (nicht alle Positionen müssen in der neuen Trainingslehre dasselbe trainieren), so dass die Freude von Minute zu Minute wuchs. Es wurde sehr schnell prächtig am sozialen Mannschaftsgefüge gezimmert, das mit den Basler Rock’N’Rollern Andi Stühlinger und Carlos Andermatt eine Veredelung erfahren hatte. Markus Ruckstuhl, Playing Coach und Sportlicher Leiter, arbeitete bereits an diesem ersten Abend fleissig an der Spielvorbereitungsrede des nächsten Tages und memorierte unzählige Fachausdrücke und anspornende Sentenzen aus dem Reich der Psychologie. Die Flying Hoppers-Uhrgesteine Toni Haberthür und Stefan Leuenberger wussten selbstverständlich zu diesem Zeitpunkt, was andere ebenfalls wussten und was sie in diesem Zusammenhang zu erwarten hätten: eine morgige, intellektuell sämtliche Anwesende überfordernde «Speech to the Nation», die indes vernünftig an das Ehrgefühl appellieren und die wesentlichen taktischen Einzelheiten des schönen Spiels grosszügig abhandeln würde.
So kam es denn auch.

2. August, 11 Uhr 30. Wie stets über die rechte Feldseite. Mit geballter Kraft voraus. Früh luftgetrocknet machten wir uns in Turin daran, die erste Gegnerschaft aus Südafrika aus dem Feld zu schlagen. Sportlich fair natürlich und mit der mittlerweile aufgekommen, spielerischen Ernsthaftigkeit, die den Flying Hoppers seit jeher eigen ist. Gut nur war Guido Steiner vor der Partie Toni nachgefolgt: Er hatte sich wie unser Toptorschütze ein paar neue Kunstrasenschuhe vom örtlichen, fliegenden Händler erworben, nur um sie eine halbe Stunde später wieder zu verlieren. Die Hitze hatte die offensichtlich nicht mit Teflon beschichtete Gummisohle malträtiert (oder war es die Ansprache des Sportlichen Leiters?), so dass sie sich spontan entschloss, sich vom Rest des Schuhwerks zu verabschieden. Guido kippte sprichwörtlich aus den Latschen, was nicht nur Corinne am Spielfeldrand staunend zur Kenntnis nahm. Das Team war begeistert von so viel unerwarteter Aktion und erstarrte kurzfristig in Anerkennung der Stilnoten. Neckisches Aperçu: Weil es so schön war, wollten andere nicht zurückstehen. Auch Reinhard Fischer, Playing Photographer, verlor bald seine Sohlen. Im selben Spiel. Auf dem selben Feld. Zwei Mann out aus technischen Gründen. Als ob es noch eines Beweises für die ungewöhnlichen Verhältnisse bedurft hätte. Eine Ironie des Schicksals war da vielleicht nur, dass Referent Ruckstuhl noch eine halbe Stunde vor dem ersten Ausfall in seiner Ansprache von uns allen ein «fluides Spiel» eingefordert hatte. (Macht Pep Guardialo bei Bayern München übrigens auch, mit wesentlich weniger Erfolg, was Ruckli ehrt. Aber das tut hier nichts zur Sache und hat in diesem Bericht auch überhaupt nichts verloren.)
Gut nur konnten wir uns selben tags während einem erste Ausflug zu einer örtlichen Bierbrauerei erholen. Wobei hier keine voreiligen, falschen Schlüsse gezogen werden sollten. Es handelte sich um eine wohlerzogene Ausfahrt, und der Brauer liess erst nach gefühlten zwei Stunden interessanter Präsentationen und Besichtigungen von Kellereien und Theorien ein erstes Gläschen springen. Beim Dinner im Saal des ehrwürdigen Hauses versuchten wir den Rückstand auf das Marschprogramm etwas wettzumachen.

3. August. Eröffnungsfeier in Turin. Mitten in der Stadt. Glücklicherweise waren wir zwei Stunden später, als von den Veranstaltern empfohlen, aus Bra losgefahren. Auch so galt es erst zwei Stunden in feinem Tuch bei sengender Hitze auszuhalten. Jaap und Pat Ten Sijthoff wiesen den Weg zur nächsten Tränke, Walter und Beatrice Stamm zur übernächsten, und am Ende waren gar Max Simmen und Lieke Rijnders (mit Evi) eingetroffen, so dass es mit Paradieren durch die Strassen Turins losgehen konnte. Die Freude war sehr gross, gegenseitig: Da die Sportlerinnen und Sportler, dort die Zuschauer, die zu Tausenden den Weg säumten. Ein Klatschen und Rufen. Sicherlich einer der Höhepunkte dieser Spiele – wann wird man als verquere Existenz, die eine indeed peripherste Randsport betreibt (Unterwasserrugby war nicht vertreten), derart bejubelt? Kurz und gut: Wir fühlten uns allesamt an jenem Abend geliebt – und hernach etwas vergessen auf dem mächtigen Paradeplatz, wo letztlich nichts mehr geschah. Doch wir behielten in unserem ausgesprochen stilvollen Outfit – beige Hose, weisses Hemd, Krawatte, blauer Blazer – wie stets Leuenbergsche Haltung und zerstoben erst nach längerem Warten in alle Winde.

4. August. Kurz zusammengefasst. Wir hatten unseren Rhythmus gefunden. Spielen wie die Halbgötter, danach ein wenig abhängen am Platz, nachmittags die Zürich Sox anfeuernd, abends ein fürstliches Essen, einige geopolitische Gespräche mit Walter Marthaler über den Sinn der vorgezogenen Erneuerungswahlen in Kambodscha und deren Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem der mitteleuropäischen Frau im Allgemeinen und im Besonderen (gut das war nun völlig erfunden, aber irgendwie auch treffend), und danach noch Digestif für selbstverständlich nur einige wenige Tapfere bis zur vorgerückten Stunden auf der Terrasse des Hotels in Bra. Ein langer Satz, und deshalb hier noch ein «Quickwin»: Besonderer Höhepunkt des Tages: Zeitungsleser Andi Stühlinger präsentierte den Kioskaushang des regionalen Monopolblatts. Nicht ex-Capo Berlusconi und die politisch unverständlichen Reaktionen auf seine Verurteilung stand da an erster Stelle. Der beste Platz war für uns reserviert: «BRA, ATLETI DI HOCKEY DA TUTTO IL MUNDO AI MASTER GAMES». Da wir uns zu Recht zu «tutto il mundo» zählen durften, fühlten wir uns erneut sehr geliebt und schliefen alle nach einer ausgedehnten Feier im Clubhaus zu Bra spät, aber wohl ein.

5. August. Walter Stamm, unser Keeper, hatte gute Arbeit bis dahin geleistet. Während auf anderen Plätzen – so kolportierten uns unsere Scouts beispielsweise von den Damenspielen – Torhüter gleich seriell vor dem Hitzestau unter dem Helm kapitulierten, hielt Walter stoisch stand. Dennoch war auch ihm eine gewisse Erleichterung anzusehen, dass inzwischen Frank Schneider, genannt «Jumbo» (Uschi, «Jumbo» heisst der Mann, auch wenn er manchmal, Panik in den gegnerischen Reihen säend, aus dem Tor geflogen kommt!) in Bra eingetroffen war. Ebenso übrigens Fedor Plambeck, während Bruno Schurter, Chef Logistik, sein Kommen erneut um einen oder zwei Tage verschieben musste. Frank wurde ohne Umschweife empfangen, in die Ausrüstung gesteckt und von den jüngsten Gegnern des Turniers gleich kräftig mit kernigen Schüssen eingedeckt. Unsere Grenzen traten offen zutage und es bedurfte eines Innenverteidigers wie Willy Arber, der bis zu seinem zerrungsbedingten Out chirurgisch fein die Blutungen in unserem Defensivverbund zu stoppen hatte. Gut nur, hatte er auch den folgenden Ausflug nach Scaparone in eine piemontesische Hazienda organisiert. Ein Sommerabend zum Geniessen. Dort warteten zur Wiedererbauung ökologische, einheimische Gerichte, die der Besitzer zu später Stunde noch mit einheimischem Gesang veredelte.

6. August. Spielfreie Tage waren Tage, an denen die einen zum Shopping ausfuhren oder unbekanntes Terrain und neue Trauben testen gingen, Tennis in brütender Hitze spielten oder Golfbälle aufs Grün schlugen, Markus Ruckstuhl und ich selber meist ferngesteuert per Email und Compi (telematisch?) arbeiteten, und Co-Reiseleiter Patrick Huber oder Besucher Retus bereits den Weg zurück ins Büro unter die Räder genommen hatten. Dieser Tag, war ein solcher Tag.

7. August. Ich sage nur: Turin Friends. Freundschaftlich war es nicht gerade auf dem Felde. Eher ein internationaler Zwischenfall, während dem sehr viel geredet wurde und zum Schluss sogar ein väterlicher Schiedsrichter und Grandsegnieur seinen eigenen Sohn vom Platz stellen musste. Natürlich geschah dies alles in der gegnerischen Mannschaft. Denn Jaap war zwar hier und pfiff, aber Sacha hatte leider den Weg von Australien nicht termingerecht machen können. So spielten wir an diesem Tag, am Tag zuvor und auch am Folgetag und an allen anderen Turiner Tagen ohne ihn. Immerhin, Toni, Fedor, Ruckli und Stefan sollen ihn angerufen haben. So war er doch irgendwie mit uns.

8. August. Der Himmel öffnete seine Schleusen, aber gleich so stark, dass der versteinerte Platz an der Corso Tazzoli unter Wasser stand. Erst nach einer zweimaligen Absage, einem zweimaligen Abzug und Zurückkommen des Teams, dem eigenhändigen Eingreifen bei der Wasserbeseitigung und einer extrem verkürzten Ansprache des Sportlichen Leiters, der seine Anweisungen bis auf Unkenntliches entkernt hatte, machten die Wolkenschleier den Blick auf das Blau frei. Wir nutzen die Gunst der Minute und spielten schnell, versuchten die sechzig Spielminuten in drei regenlose zu packen. Toni und Stef marschierten als ob es nach den wenigen Sequenzen wieder Regnen würde, Fedor und Markus ebenfalls, Guido und Coen rückten mutiger auf denn je, und vorne trieb Andi Walti die Verteidiger in den Wahnsinn und skorte zusammen mit dem wieder einmal aus dem Lazarett zurückgekehrten Andi Stühlinger und mit Max Simmen, dem schneeweissen Flieger. So dauerte das alles dann doch sechzig regenfreie Minuten. Danach, wie stets, Retablieren, Diskutieren, Umschichten, neu Planen, viel, viel Lachen. Es war – und dies wurde an jenem Tag und spätestens im fünften Spiel klar – ein besonderes Team, das hier zusammengefunden hatte.

9. August. Die Ruhe vor dem Sturm. Der letzte spielfreie Tag, genutzt zu ausgedehnten Ausflügen in die Weinanbaugebiete, unter kundiger Leitung von Piemont-Aficionado Willy Arber. Am Abend zuvor war Bruno Schurter eingetroffen und waren damit sämtliche logistischen Herausforderungen gemeistert, das Team komplett, pünktlich. Die Zeitungen schrieben wieder mehrheitlich von Berlusconi und verschwiegen uns. Dennoch, wir fühlten uns geliebt.

10. August. Finaltag. Erneut die Freunde von Turin. Die Rückkehr des Sohnes, diesmal ohne pfeifenden Vater, was uns gewissermassen zu einem Nachteil gereichen sollte, denn nun war niemand mehr da, der den immerhin schon 50-jährigen Jungspund in die Schranken hätte weisen können. Wir vermochten es nicht. 3:5 hiess das Skore zum Schluss, nach einer guten halben Stunde, und einer weniger guten zweiten. Verdient war es zum Schluss, verdienter zweiter Rang, wiederum nach zwei vorangegangenen, wie man der Ansprache des Sportlichen Leiters hatte entnehmen können. Die Ausrichter gewannen, wir irgendwie auch, eigentlich alle. Stolz ging das Turnier an langen, weiss gedeckten Tischen auf dem Rasen vor dem Clubhaus zu Ende, mit tanzenden Südafrikanern und Australierinnen und den Flying Hoppers und den Zurich Sox mittendrin, bis frühmorgens auf Tischen und Bänken tanzend, immerhin hatte man es überstanden, allem getrotzt, und war der kompletten Dehydrierung dank klugen Taktierens und Wasserhaushaltens entgangen. Das Turnier wird als jenes in die Geschichte eingehen, in dem zwei Männer gleichzeitig ihre Schuhsohlen verloren, und praktisch alles und jedes verdorrte, nur die Herzen der Flying Hoppers nicht.

Bruno Affentranger